Mittwoch, 2. Februar 2022

BMUV-PM: Habeck und Lemke lehnen Taxonomie-Rechtsakt der EU-Kommission ab

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Gemeinsame Pressemitteilung mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz

 

Pressedienst – Nr. 009/22
Berlin 02. Februar 2022


Habeck und Lemke lehnen Taxonomie-Rechtsakt der EU-Kommission ab

Die Europäische Kommission hat heute den sogenannten ergänzenden delegierten Rechtsakt zur Aufnahme von Atomkraft und Erdgas in die Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten erlassen. Dieser sieht nun vor, Investitionen in Atomkraft- und Erdgasaktivitäten als nachhaltig einzustufen und damit von Finanzierungsvorteilen profitieren zu lassen. Die Kommission weist die von den Mitgliedstaaten und der Plattform für nachhaltige Finanzen geäußerte Kritik zurück und argumentiert, dass die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas zur Dekarbonisierung, insbesondere zum Ausstieg aus der Kohleverstromung und somit zur Erreichung von Klimaneutralität notwendig sei. Dagegen ist der Zweck der Taxonomie, zu ermitteln, ob eine Wirtschaftsaktivität als ökologisch nachhaltig einzustufen ist. Dies soll unabhängig von Fragen der Energiesicherheit und nationaler Energiepolitik erfolgen.

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck: „Wir haben wiederholt deutlich gemacht, dass wir die Einbeziehung von Atomenergie in die Taxonomie für falsch halten. Atomenergie ist risikobehaftet und teuer; auch neue Reaktorkonzepte wie Mini-Reaktoren bringen ähnliche Probleme mit sich und können nicht als nachhaltig eingestuft werden. Das Ganze konterkariert das gute Konzept der Taxonomie und läuft ihren Zielen zuwider.“

Auch Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke äußerte sich kritisch: Wie eine Reihe anderer EU-Mitgliedstaaten lehnt die Bundesregierung die Aufnahme von Atomenergie in die Taxonomie klar ab. Atomkraft ist nicht nachhaltig, mit immensen Risiken verbunden, sie ist zu teuer und die Planungs- und Bauprozesse dauern viel zu lange, als dass sie noch einen Beitrag zum Ziel der Klimaneutralität leisten könnte. Atomkraft als nachhaltig zu bezeichnen widerspricht dem Nachhaltigkeitsverständnis der Verbraucher und Verbraucherinnen in Deutschland und in anderen europäischen Mitgliedstaaten.“

Ministerin Lemke und Minister Habeck erklärten weiter, die Bundesregierung werde jetzt beraten, wie sie mit dem Beschuss der EU-Kommission umgehe. Sie hatten schon im Januar deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht Deutschland den ergänzenden delegierten Rechtsakt ablehnen sollte, sollte er in wesentlichen Punkten unverändert bleiben. Robert Habeck: „Die für uns notwendigen Veränderungen sehen wir nicht.“

Ministerin Lemke ergänzte: „Ich halten den Rechtsakt in der jetzigen Form für einen großen Fehler, der die Taxonomie als Ganzes stark beschädigt und unsere Klimaziele gefährden könnte. Wir brauchen einen glaubwürdigen Nachhaltigkeitsstandard für die Finanzmärkte, der Greenwashing effektiv verhindert und die nötigen Investitionen dorthin lenkt, wo wir diese so dringend brauchen: in den raschen Ausbau der erneuerbaren Energien und eine nachhaltige Energiewende. Jede Milliarde, die durch diesen Kommissions-Beschluss zusätzlich in die Atomkraft fließt, fehlt dann dafür. Daher werden wir uns auch dafür einsetzen, dass der Standard für europäische grüne Anleihen, der gerade auf EU-Ebene verhandelt wird, Atomkraft ausschließt.“

 

Weitergehende Informationen und weiteres Verfahren:

Stellungnahme der Bundesregierung zum Delegierten Rechtsakt der EU-Kommission: https://www.bmuv.de/download/stellungnahme-der-bundesregierung-zur-eu-taxonomie

FAQ

1. Was ist die Taxonomie?

Die Taxonomie ist ein EU-weit gültiges System zur Klassifizierung von nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten. Sie soll Anlegerinnen und Anlegern Orientierung geben und Kapital für den grünen Umbau von Energieproduktion und Wirtschaft anreizen. Das Finanzsystem spielt eine Schlüsselrolle im Übergang zu einer emissionsarmen, ressourcenschonenden Wirtschaft. Die Europäische Kommission hat daher bereits im Juni 2021 erste Kriterien vorgelegt, die dazu beitragen sollen, in der Europäischen Union mehr Geld in nachhaltige, klimaschonende Tätigkeiten zu lenken und die Umweltbilanz in Unternehmensberichten sichtbarer zu machen.

2. Wie funktioniert die Taxonomie?

Rechtlich bildet die EU-Taxonomie-Verordnung die Grundlage für die Nachhaltigkeitsklassifizierung. Sie stärkt die Markttransparenz für Investitionen in ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten. Sie etabliert ein Klassifikationssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten, um Anreize für Investoren und Investorinnen zu schaffen, die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu unterstützen.

3. Was sagt der erste delegierte Rechtsakt?

Zur Konkretisierung der Taxonomie-Verordnung gab es einen ersten delegierten Rechtsakt der Europäischen Kommission, in dem die technischen Kriterien für die Ermittlung der Tätigkeiten festgelegt werden, die einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel leisten. Der erste delegierte Rechtsakt deckt wirtschaftliche Tätigkeiten von etwa 40 Prozent der börsennotierten Unternehmen in Sektoren ab, auf die knapp 80 Prozent der direkten Treibhausgasemissionen in Europa entfallen. Zu diesen Sektoren gehören Energie, Forstwirtschaft, Produktion, Verkehr und Gebäude. Ausgenommen aus dem ersten delegierten Rechtsakt wurde unter anderem die Energieerzeugung aus Erdgas und Atomkraft.

4. Warum gibt es überhaupt einen ergänzenden delegierten Rechtsakt?

Der erste delegierte Rechtsakt legt weitgehend richtige, angemessene und strenge Maßstäbe an, um nachhaltige Tätigkeiten mit Beiträgen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung zu klassifizieren. Nach Einschätzung des BMWK und des BMUV hätte es eines ergänzenden delegierten Rechtsaktes mit Atomkraft und Erdgas nicht bedurft. Die EU-Kommission hatte sich aber bereits früh im Verfahren öffentlich festgelegt, in einem solchen ergänzenden delegierten Rechtsakt möglicherweise Atomenergie sowie Erdgas aufzunehmen. Diesen ergänzenden delegierten Rechtsakts hat die Europäische Kommission am 31.12.2021 in die Konsultation gegeben. Die EU-Mitgliedstaaten und andere Akteure konnten bis zum 21.01.2022 Stellungnahmen dazu einreichen.

5. Wie ist jetzt das weitere Verfahren?

Die EU-Mitgliedsstaaten und das Europäische Parlament haben eine Frist von vier Monaten, verlängerbar auf sechs Monate, innerhalb derer sie einen Einwand gegen den delegierten Rechtsakt erheben können. Der Rechtsakt tritt in Kraft, wenn weder der Rat (qualifizierte Mehrheit mit 15 der 27 Mitgliedstaaten, die zudem für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen) noch das Europäische Parlament (mit der Mehrheit seiner Mitglieder) einen Einwand gegen den Rechtsakt erheben. Die Hürden, den Rechtsakt zu stoppen, sind mithin hoch.

 


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